S E I T 1927

(Produktion 1987)

TANZTHEATER Susanne Hajdu - 'Seit 1927' - Produktion 1987

Idee und Choreographie: Susanne Hajdu
Schauspiel: Magdalena Sadlon
Tanz: Susanne Hajdu
Bühnenbild und Graphik: Gitta Thomschitz
Aufführungsorte: TheaterBrett Wien; Szene Wien; Haus der Jugend Graz; Mozarteum Salzburg
Gefördert: MA7

Ein assoziatives Spiel mit Gefühlen und Gedanken 1987 nach der Geschichte von 1927...

Wurzeln der jüngsten Geschichte, von einer Tänzerin, einer Schauspielerin und einer bildenden Künstlerin aufgespürt...

Das Stück thematisiert die österreichische Geschichte seit 1927 (Brand des Justizpalastes, 90 Tote durch Einschreiten der Polizei gegen demonstrierende ArbeiterInnen) als Abfolge von Katastrophe und Verdrängung, wobei auf offene Unterdrückung und Bestialität immer wieder Zwang zum “Wohlverhalten“ speziell für die Frauen folgt.
Die Hinterwand, das Bühnenbild wird während des Stückes auf und schließlich bis zur Schluss-Sequenz wieder abgebaut ebenso eine gleichzeitig von der Schauspielerin eigenhändig gezimmerte Mauer um schließlich wieder zu einem Ziegelhaufen zu zerfallen. Tanzbilder und Posen verdichten sich zu verinnerlichten Kommentaren und Stimmungsbildern vor dem Hintergrund der Originaltondokumente, Reden des verantwortlichen Polizeipräsidenten....Schober. Aufruf zur Vaterlandstreue, Benimmregeln (zum Opernball) und eine Tänzerin, die mit einem Sessel Tango tanzt.


PRESSESTIMMEN:
"Kontinuität und Geschichte" - Theater-Brett: Tanztheater auf neuen Wegen
Was Tanztheater auch sein kann, zeigt die Gruppe um Susanne Hajdu derzeit im Wiener Theater-Brett. In der für weiter Vorhaben dieser Art exemplarischen Produktion 'Seit 1927...' wird dieses Genre von den ihn anfaftenden Klischees des Nur-Emotionalen, Nur Zwischenmenschlichen befreit. Geschichte als Ausgangspunkt für das Heute wird erfahr- und vermittelbar.
Eigentlich eine kleine Theatersensation findet derzeit in der Kleinbühne in der Wiener Münzwardeingasse statt. Eine Theatersensation, weil hier Wirklichkeitserfahrung durch künstlerische Aneignung zur Bewußtwerdung wird, weil hier Inhalt, Form und Gestaltung sich zu künstlerischer Ausdruckskraft verdichten.
Susanne Hajdu nimmt die Ereignisse vom 15. Juli 1927 als Ausgangspunkt für eine komprimierte Rekapitulation 60 Jahre österreichischer Geschichte, zeichnet die Linien nach, die trotz - oder wegen - des Faschismus heute in ihrer Kontinuität wieder deutlich werden. Der 15. Juli 1927 ist in die österreichischen Gechichtsbücher eingegangen als der Tag, an dem rebellierende Arbeiter - 'die Roten' - den Justizpalast in Brand gesteckt haben; ein Datum, das aber durch die Ereignisse vor- und nachher den Wendepunkt zugunsten des grünen und später des braunen Faschismus brachte. Ein Datum, das 90 Tote verzeichnet.
In die gelungene Toncollage werden originalzitate des damals für die Exekutive verantwortlichen Vizekanzlers Karl Hartleb eingeblendet ('... und die ärgsten waren die Frauen, weitaus die Fanatischesten... wenn die Männer bis zum Volksgarten dort in der Allee hinten waren, sind ein paar Weiber vor und habn gebrüllt und habn die Blusen aufgerissen, habn geschrien: 'Da schießts her'...'), Ausschnitte einer Rede Bundeskanzler Schobers über die 'Stammesgleichheit' der Deutschen und Österreicher und Karl Kraus' denkwürdiges 'Schober-Lied' über den pflichteerfüllten Österreicher.
Eine Beziehung zum ausdrucksstarken Tanz der in Budapest geborenen Susanne Hajdu stellt sich dann am Schluß wieder ein, wenn im Heute die gleichen Bewegungsabläufe in Ähnlichkeit der historischen Situation markieren, wenn Waldheim sein Pflichterfülltsein wiedergibt und ein Haider-Zitat 'das war wie 1930' zwar manipulativ, aber stimmend eingesetzt wird.
Dieses Programm beitet eine Fülle bewußt eingesetzter Wirklichkeitssplitter mit entscheidender gesellschaftspolitischer Bedeutung; etwa dort, wo ein Marer mit seiner Tätigkeit aufgehört hat und verbürgerlicht sich mit den Tegeln des 'guten Benehmens' beschäftigt, wo die Wänder, die Wirklichkeit symbolisierend, mit Tuch verhüllt werden, wie aus der Frau mit durchscheinendem Trikot (als Bezug zu Hartleb) die gebrochene, gebückte Kreatur von heute wird.
Was in der Aufzählung wie losgelöste Bruchstücke wirkt, wird durch Susanne Hajdu (Idee, Choreographie, Tanz), Magdalena Sadlon (Schauspiel) und Gitta Thomschitz (Bühnenbild und Graphik) zu einem dichten künstlerischen Netz voll Asdruckskraft und Aussage gewoben. Ein Meilenstein in der Entwicklung des österreichischen Tanztheaters.
Volksstimme: von Erwin Kisser

"Dichtes politische Theater "
Mit dem Tanztheater 'Seit 1927', einer neuen Produktion des Tanztheater Susanne Hajdu, begeben sich eine Tänzerin, eine Schauspielerin und eine bildende Künstlerin auf die Spurensuche nach den Wurzeln des jüngsten Geschichte,heißt es sinngemäß im Programmheft und weiter: [...] Wie es sich überhaupt dringlichst empfiehlt, das Programmheft und die aufliegenden 'Gedanken zur Produktion' zu studieren, um den Zugang zum Konzept dieser - das sei vorweggenommen - beeindruckenden Aufführung zu finden. Es steht sich dafür. Susanne Hajdu, von der Idee und Choreographie stammen, setzt auf die Kunst des Weglassens, des Reduzierens, des sparsamsten Gebrauchs theatralischer Effekte. Das ergibt [...] zusammen mit den musikalischen Klangbildern, den Tonbandeinspielungen denkw ürdiger Sprüche von Johann Schober bis Jörg Haider, den originellen Leseübungen von Magdalena Sadlon und der gutüberlegten 'Ausstattung' von Gitta Tomschitz dichtes politisches Theater. [...] Nicht durch lauten Agitprop und radikale Pantomime wird hier Geschichte hervorgeholt, sondern durch sachte Impulse an das Bewußtsein der Zuseher. Das TheaterBrett nennt es auch: 'Trauerarbeit einer Generation, die Weltkriege nur aus Büchern kennt.'
AZ: von Maria Sporrer